Wandelweiser in Düsseldorf, Jorinde Voigt in Stuttgart, Musikfabrik spielt Partch-Instrumente im Schloss Morsbroich, Iveta Apkalna weiht eine Neubrandenburger Orgel ein, Samy Moussa und Hindemith, »urban string« auf den Elbinseln, Pierre-Laurent Aimard, Anna Lucia Richter und Vilde Frang auf Festivals und der Bachabend »Cantatatanz«
Wer eine erste Ahnung von zumindest einem Teil der ästhetischen Orientierung der Edition Wandelweiser – Label und Verlag – erhalten will, liest am besten unser Interview mit einem der Label-(Anti-)Stars Jürg Frey:
Ich habe manchmal das Gefühl, ich muss die Töne reinigen, weil die Töne an sich einfach sehr oft belastet und beladen sind mit extra Bedeutungen und mit zusätzlichen Ausdrucksqualitäten. Ich habe das Gefühl, ich muss sie reinigen, damit sie ein normaler Ton sind: einfach eine ausgehaltene Note auf der Geige oder auf einem anderen Instrument. Ich habe entdeckt, dass es mir persönlich am besten gefällt, wenn eine einfache Note da ist. Und das hat ein paar Konsequenzen für das Komponieren. Das nimmt Einfluss darauf, wie man überhaupt mit diesen Klängen arbeitet. Es geht dann nicht mehr, dass man diese im traditionellen Sinne von Komponieren benutzt. Denn dann kommen Sie wieder in diese Gegend, wo die Töne alle belastet sind und extra Bedeutung dazukommt.
Am Dienstag, den 18. Juli, beginnt das vom Label veranstaltete sechstägige Festival »Klangraum / day to day (I)« im Kunstraum /Jazz-Schmiede in Düsseldorf. Es kommen label-eigene und im Geiste verbundene Künstler. Hauptsächlich werden sechs Werke über die Tage verteilt immer wieder zu hören sein.
Dann hat Musik täglich die Funktion, mich zu konditionieren für die Arbeit und – dadurch dass ich sie sehr laut höre – mich abzuschotten von meiner Umgebung. Dabei wähle ich die Musik danach aus, was für einen Effekt sie auf mich hat und wie sie entweder meine Stimmung verstärkt oder mich in einen anderen Zustand versetzt. Das ist also ein sehr funktionaler Umgang mit Musik.
Es gibt für Jorinde Voigt, Beethoven sei ihr Zeuge, noch andere, dichter mit ihren Arbeiten selbst verbundene Einflüsse der Musik als diese funktionale Verwendung, darüber hat für die Ausgabe #115 Anna-Lena Wenzel mit ihr gesprochen.
Am Samstag, den 15. Juli eröffnet im Kunstmuseum Stuttgart die Sonderausstellung »Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist« mit Ausschnitten aus der Sammlung Klein, in der auch Werke von Voigt zu sehen sind.
Das Ensemble Musikfabrik spielt mal wieder auf den Instrumenten von Harry Partch, dem einzigen vollständigen Nachbau der Originalinstrumente. Einen genaueren Blick darauf gibt es im VAN-Interview mit Phillip Sollmann, der sein eigenes Wooden-Minimal-Techno-Opus auf ihnen geschaffen hat. Im Schloss Morsbroich bei Leverkusen gibt es am morgigen Donnerstag, 13. Juli, eine Installation von Claudia Molitor, Walking with Partch und Stücke des Meisters selbst, zwei der 17 Vertonungen aus den 1930er Jahren von Gedichten Li Pos, (701–762 n. Chr.): Before the Cask of Wine und On Seeing off Meng Hao-Jan (1930/33)
Wenn man eine Orgel in einen Konzertsaal hineinbaut, dann ist es nicht damit getan, dass sie irgendwann da steht. Man muss sie leben lassen.
… sagt Iveta Apkalna, Titularorganistin der Elbphilharmonie, im großen VAN-Orgelgespräch mit ihr und einem weiteren Großmeister, Olivier Latry. In die backsteingotische Marienkirche in Neubrandenburg haben die Orgelbauer Schuke in Berlin und Klais in Bonn jetzt fanz frisch einen König der Instrumente hineingebaut. Und Iveta Apkalna kommt zur Einweihung, am Donnerstag, den 13. Juli, im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Ein Konzert um 10 Uhr, eines um 19.30. (Ob sie auch bei der Orgelvorführung um 17.30 dabei ist? Immerhin sind solche Bekanntmachungen der Menschen mit der Orgel ein wichtiger Teil ihrer Arbeit an der Elbphilharmonie.)
Der Komponist Samy Moussa erhält den Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musikfestivals, am Montag, den 17. Juli in Rendsburg, unweit von Kiel. Und nun eine grobe Vereinfachung: Während Paul Hindemith für seinen grellen, aber immer wieder mit Unterhaltungselementen der Zeit spielenden Stil noch als Bürgerschreck galt, war Samy Moussa in der Vergangenheit wegen der Kombination von Komplexität und zugänglichem Idiomen eher dem Vorwurf der Gefälligkeit ausgesetzt, wie der unten abgebildete VAN-Artikel vor zwei Jahren deutlich machte. Ist das jetzt vorbei? Die Vorgänger*innen sind illuster, die Würdigung kommt von Christoph Eschenbach, es spielt das Quatuor Diotima: Werke von Hindemith und Moussa.
Eines der schönsten Kammermusikformate der Welt, »urban string« wird – nicht zu einem Weltmusik-Abend, weil das Wort nicht viel bedeuten kann – sondern zu einem musikalischen Feldforschungs-Kollaborationsabend auf den Elbinseln, der Veddel, am Samstag, den 15.7. in der Immanuelkirche. Derya Yildirim, die bereits zu Gast im Bunkersalon war, spielt Gesang und arabische Lauten, es kommen Patrick Kabré (Gesang), der musikalische Feldforscher Sven Kacirek (Schlagzeug und Elektronik) und DJ Fatou La Reine Mere (Elektronik). Sebastian Reier alias Booty Carrell (auch schon als VAN-Reporter unterwegs) kümmert sich um das Vinyl, es singt der Chor zur Welt, es spielt das Ensemble Resonanz.
Pierre-Laurent Aimard (hier im VAN-Gespräch) ist am Montag, den 17. Juli zu Gast bei der Styriarte. Das Programm heißt tatsächlich »Dur und Moll«. What?! Thomas Höft, der Dramaturg des Festivals, hat eine kleine Video-Einführung erstellt, mal sehen:
Schlappe vor Gericht für das Rheingau Musik Festival: Fluglärmgegner dürfen weiter Pianisten in Briefen vor Fluglärm warnen. (Hessenschau, im April dieses Jahres)
Dennoch scheint es höchst unwahrscheinlich, dass bei Anna Lucia Richters (Sopran) und Michael Gees’ (Klavier) Schubert-Abend am 16.7. (Sonntag) im Schloss Johannisberg die Störung durch Anflüge auf den Frankfurter Flughafen das Niveau von Husten, Rascheln oder einfach zerstreutem Denken erreicht. Passend zum Rheingau in VAN: Liedbegleiter Eric Schneider trinkt Rotwein und huldigt Schubert-Liedern und: unser Gespräch mit Anna Lucia Richter.
Vilde Frang besetzt beim Gstaad Menuhin Festival eine Residency, sie nennen es Carte Blanche. Sie spielt drei Konzerte, am 13., 20. und 21. Juli.
Am 14. und 15. Juli zu sehen und hören ist eine Wiederaufnahme des Bachabends Cantatatanz in der Berliner Zionskirche. Das am Bauhaus Dessau gegründete Berliner Theater- und Instrumentalensemble Nico and the Navigators beschreibt sein Konzept so:
In den Arien des Leipziger Thomaskantors erforschen [wir] die Bildsprache barocker Frömmigkeit in Verbindung mit ihrer heutigen Jenseits-Sehnsucht und suchen dabei nach zeitlosen Übersetzungen für Bachs Vokal- und Instrumentalwerke. Die Instrumentalisten Mayumi Hirasaki (Violine), Jakob David Rattinger (Viola da Gamba) und Eugène Michelangeli (Cembalo, Orgel) werden dabei direkt in das Spiel des Countertenors Terry Wey und der Tänzerin Yui Kawaguchi einbezogen. Als Kontrastmittel zu Bach dienen Werke von Marin Marais, die gegen die Demut des deutschen Protestanten mit Lebenslust und Daseins-Willen Sturm laufen.