VANstaltungen KW 9
3.–9. März 2016
Jede Woche neu: unsere subjektiv zusammengestellte und ausschweifend kommentierte Übersicht über interessante Termine in den kommenden Tagen.
Cerhas Baal-Gesänge in Wien
Georg Friedrich Haas schreibt über Cerhas Baal: »Er schrieb keine romantischen Alpensymphonien und keine Musik über irgendwelche Haine und Fluren. ... Da spricht jemand, der Natur nicht als Tourist konsumiert hatte, sondern der sie als einzige Möglichkeit des Überlebens erspürt und erlitten hatte.« Zudem erinnern sich Komponisten überall nicht nur an den Klang, sondern auch an die Topografie und Geografie der Partitur von Cerhas vielleicht bekanntestem Werk, dem Zyklus Spiegel. In Wien stellt das RSO den Baal-Gesängen, einem Destillat aus der Oper, das Adagio aus Mahlers 10. Sinfonie gegenüber.
3.3. Wien, Konzerthaus
Stuttgarter Kammerorchester / Reinhard Goebel
Dresdner Hofkapelle, Mannheimer Schule, Bach-Söhne, man muss das Repertoire des 18. Jahrhunderts an der Schwelle vom Barock zur Klassik nicht spannend finden, aber wenn man sich darauf einlassen und es schmackhaft gemacht haben will, dann gibt es keine bessere Gelegenheit als ein Konzert mit Reinhard Goebel, dem Archäologen unter den Musiker/innen:
»Für mich ist die Musik wie ein verschlüsseltes Bild, das man nach der Nomenklatur des 18. Jahrhunderts rückentwickeln kann. Ich mache nur Musik, bei der ich mich durch äußere Notwendigkeiten zwingen lassen kann. Ich könnte mich deswegen nie auf romantische Musik einlassen, weil mir das viel zu wenig theoretisch begründbar ist, was ich da mache. Ich brauche klare gesetzmäßige Strukturen, auf die ich mich verlassen kann, wo ich sagen kann, wenn wir die haben, dann können wir so eine Sinfonie vom Blatt spielen. Dann müssen wir nicht mit einer Wünschelrute da durchgehen und fragen, wo jetzt denn das Emotionale ist«,
sagt Goebel im VAN Interview.
6.3. Stuttgart, Liederhalle, Mozartsaal
Orchestre des Champs-Élysées / Herreweghe / Faust / Kopatchinskaja
Wunderbare Welt der Klassik, Land der Ideen und des Wettstreits. So hätten wir sie zumindest gerne und rollen immer mit den Augen, wenn uns wieder einer mit »jede Interpretation hat doch seine Gültigkeit, und überhaupt, es zählen doch nur authentische Gefühle« kommt. Mendelssohns Violinkonzert, zum Beispiel. »Da schreibt Mendelssohn drei Briefe über die Kadenz, wie sie gespielt werden soll, aber das interessiert niemanden. Ich bin auch alt genug, um fragen zu dürfen: Was machen die Idioten eigentlich?«. Und bei Beethovens-Violinkonzert, da kriegt man die brutalen Wutausbrüche im ersten Satz erst gar nicht mit, »weil das Stück vor allem im Lauf der 1950er, 1960er-Jahre zu einem ›heiligen Meisterwerk‹ umgemünzt wurde, mit langsamen Tempo, mit schönem Spiel.« Das schöne Spiel im falschen Stück? Fast so schlimm wie der »kammermusikalisch durchhörbare Konversationston« eines Philippe Herreweghe, der sich breitmachte, als man nicht mehr genau hinhörte. Philippe, Isabelle, Patricia, jetzt ihr!
4.3. Stuttgart, Liederhalle, Beethoven mit Isabelle Faust
5.3. Essen, Philharmonie, Beethoven mit Isabelle Faust
6.3. Frankfurt, Alte Oper, Mendelssohn mit Patricia Kopatchinskaja
7.3. München, Philharmonie, Beethoven mit Isabelle Faust
Noch frisch: Kölner Fest für alte Musik
Die alte Musik, die frühe Musik, ist hier in VAN weiter auf dem Vormarsch; diese Woche Cembalo-Aufruhr und die Wucht von Reinhard Goebel, letzte Woche stellte Folkert Uhde in FAT CREAM eine Aufnahme von Jordi Savall vor, demselben Jordi Savall, der im Interview mit VAN über die Musik als letzte Zuflucht der Freiheit spricht, als Ausdruck einer ursprünglichen Menschlichkeit.
Jordi Savall ist auch in Köln, beim von Thomas Höft geleiteten Fest für alte Musik, das dieses Wochenende beginnt. Gestern, am Dienstag abend war die Generalprobe von ›Fugit‹, dem interaktiven Musiktheater mit der Theatergruppe Kamchàtka, dem zamus-ensemble und der blinden Sopranistin Gerlinde Sämann. Ich will nicht zu viel verraten, außer, dass man es miterleben sollte, wenn man an der Isolation und der eigenen Bezugslosigkeit im Konzertsaal leidet, zum Beispiel, dann lernt man hier was neues (vielleicht auch: sich selbst) kennen. Das Motto des gesamten Festivals ist »I have a dream«, aber es sind nicht die sanften, märchenhaften Träume, sondern es geht um Tod, Flucht, Utopie. Wir werden für VAN noch mit der Oboistin Xenia Löffler sprechen, ihr Programm »Es ist genug« sehen und berichten.
27.2.-13.3. Köln, diverse Orte
Kaleidoskop …
… dem Solistenensemble, über das letzte Woche an dieser Stelle stand: Das Abenteuer entsteht oft an der Grenze, dort wo Scheitern, Dilettantismus und Fortschreiben nah beieinander liegen. Hier tummelt sich seit 10 Jahren das Solistenensemble Kaleidoskop, das uns mit seinen Konzerten und Performances mal zur Verzweiflung, mal zum Erstaunen, mal zur Weißglut bringt, aber nie unberührt lässt. Das nächste Konzert ›Unmöglichkeit I (J’espère)‹ ist der erste Teil einer vierteiligen Reihe zum 10. Geburtstag.:
Im Atelier STUDIOTEN des Künstlers Dirk Bell wird der Moment, in dem Geräusch Musik wird, anhand von Fragmenten aus Gran Torso von Helmut Lachenmann zu einem langen Sehnsuchtsmoment gedehnt. Einem Moment, der das ganze Werk bereits in seinen zersplitterten Partikeln trägt – J’espère. Das Atelier, der intime Schutz- und Denkort des bildenden Künstlers, der Raum, in dem alles möglich ist, wird zur Bühne. In einem den Abend über dauernden Zerfall eines massiven Geräuschblocks wird nach und nach Musik von Beethoven, Rihm und Dufay freigelegt.
9. und 10.3. Berlin Atelier STUDIOTEN
Scheherazade auf dem Flohmarkt in Hamburg
Es soll Frühling werden, wir müssen raus, deswegen stellen wir in dieser Woche einfach mal verstärkt Konzerte an ungewöhnlichen Orten dar, auch solchen, wo man auf ganz viele andere Menschen trifft. Uns erreicht kurz vor Redaktionsschluss noch die Nachricht:
Am kommenden Sonntag, den 6.3. um 11:30 Uhr spielen die Hamburger Symphoniker ihr nächstes MusikImPuls-Konzert mal auf der anderen Seite der Elbe. Auf dem Kulturflohmarkt ›FlohZinn‹ in den Zinnwerken in Wilhelmsburg präsentieren sie das Werk Scheherazade vom Rimski-Korsakow als Bearbeitung für Streichquartett. Der urbane Basar und die dort feilgebotenen Waren sind so bunt wie der Stadtteil selbst. Im Anschluss an das Konzert zeigen sie außerdem die 16-minütige Dokumentation zum Flüchtlingskinderprojekt ›Do It! – Klang Spiel Raum‹ als MusikImPuls-Projektion.
Das ist was, insbesondere, da man bisher meist mit kleineren Besetzungen ›MusikImPuls‹ bestritten hat bei den Symphonikern. Scheherazade auf dem Flohmarkt? Das könnte was werden.